TOD

Was wird als mein                                                                    Vermächtnis bleiben?

Blumen im Frühling,

Der Kuckuck im Sommer

Und die dunkelroten                                                                  Blätter des Herbstes. 

                                         Ryokan 1831

                                                                                                                                             

 

Wir können unserer Bestimmung nicht entfliehen. Warum also davor weglaufen?

Als Mensch werden wir geboren und als Mensch sterben wir. Das ist die natürliche Bestimmung des Seins.

Als die Wehen zur Geburt meines ersten Kindes einsetzten spürte ich Angst in mir hochkriechen. Ich hatte diese Reise noch nie gemacht und hatte auch noch nie eine Geburt miterlebt. Ich beruhigte mich in den langen Stunden des Wehen beatmens damit, dass ich mir sagte, gebären sei etwas Ur-Natürliches. Geboren werden und sterben. Anfang und Ende. In den Körper einziehen und aus dem Körper ausziehen. Ich gab mich diesem Natur gegebenen Geschehen hin, vertraute darauf, dass ich den Weg intuitiv finden würde.

Apana, die Energie die nach unten schiebt, fließen zu lassen war eine große Hilfe. Ich hatte mich während der Schwangerschaft mit der Anatomie und Physiologie des Menschen vertraut gemacht, hatte alles gelesen, was ich zur Geburtshilfe finden konnte. Ich war also mental bestens vorbereitet. Hingabe und  intellektuelle Vorbereitung haben mich durch den Geburtsprozess getragen.

Ich denke, dass es mit dem Tod ähnlich ist.

Milarepa, der buddhistische Meister und Dichter sagte: Jeder Tag an dem ich nicht an den Tod denke ist ein vergeudeter Tag.

Ja, wir sollten uns mit unserer Vergänglichkeit befassen. Unseren Frieden damit finden. Vielleicht erhalten wir ja in unserem Leben das Geschenk am Totenbett eines geliebten Menschen zu wachen, Abschied zu nehmen, mit allem Schmerz, und die Stille des Todes zu erleben. Menschen sterben sehr oft in Frieden und voller Würde.

 

Angst vor dem Sterben zu haben, ist etwas ganz Natürliches. Unser Geist schützt uns durch angemessene Angst vor Unbekanntem. Angst macht uns wach und aufmerksam.

Nur übermäßige, unkontrollierbare Angst macht uns schwach und krank. Dann sprechen wir in der Psychotherapie von einer Angststörung.

Im Zeitalter der unbarmherzigen Gerätemedizin sollten wir unserem persönlichen Ableben mehr denn je ins Auge schauen und unser Sterben bewusst mitgestalten. Eine ausführliche Patientenverfügung ist ein guter Schritt in die aktive Auseinandersetzung mit dem Tod. Wir sind ihm in jedem einzelnen Augenblick unseres Lebens nah. Er kann uns jederzeit ereilen. Ob jung oder alt, ob krank oder gesund. Es lohnt nicht, davor zu fliehen.

Der Tod ist ein Aspekt des Lebens. Und da es nichts zu erreichen gibt, nehmen wir ihn einfach wie er ist. Die Frage nach einem Leben nach dem Tod oder der Wiedergeburt oder einer sogenannten unsterblichen Seele – was immer das ist - interessiert mich dabei wenig. Der Tod ist das Ende des weltlichen Lebens. Punkt. Nicht mehr und nicht weniger.

In Japan haben die Zen Meister die Tradition des Sterbegedichts über Jahrhunderte kultiviert. Kurz vor dem Ableben schreibt der Zen Mönch die Essenz seiner Erfahrung in einem Gedicht nieder. Eines davon steht am Anfang dieses Kapitels. Hier ein Weiteres:

 

Da ich geboren wurde

muß ich sterben,

nun denn…

                        Kisei

 

Das ist schlicht und voller Hingabe und Vertrauen.

Unsere Leben werden von unzähligen Abschieden geprägt. Wir werden erwachsen, lassen die Kindheit hinter uns, verlassen das Elternhaus, trennen uns von Freunden/Geliebten/Partner*innen, entlassen unsere Kinder in die Welt, verlieren geliebte Tiere, wechseln die Wohnorte.......Je älter wir werden, um so einschneidender sind die Abschiede. Wir büßen Sehschärfe ein, hören schlechter, werden unbeweglicher, können vielleicht nicht mehr wandern, klettern, reiten, Rad fahren etc. Nahe Menschen sterben. Wir müssen sie loslassen und mit dem Vermissen weiterleben. Ein ganzes Leben lang üben wir loszulassen. Am Ende können wir gut geübt, als Meister*innen der Abschiede, alles loslassen. Im besten Fall.

Eine Yogastunde endet meistens mit der Totenstellung – Shavasana. Zuerst üben wir Asana, spüren uns in unserer ganzen Lebendigkeit und dann, am Ende, liegen wir still in der Shavasana Haltung. Wie tot, am Boden, auf dem Rücken, alle Glieder entspannt, die Handflächen empfangend zum Himmel geöffnet, verletzlich, wie aufgebahrt und von Mutter Erde getragen. In Stille dem Atem ergeben. Den Körper abgeben an die Erde, an die komplette Entspannung. Dem Tod so nah!

Was danach kommt? Ich weiß es nicht und es schert mich auch nicht.

Der Tod ist das letzte Geheimnis.

 

Auch wenn die Nacht die grüne Erde verfinstert,

dreht sich das Rad.

Auf die Geburt, folgt der Tod.

Sei selbst im Schlaf mit jedem Augenblick bestrebt,

jenseits von Tag, jenseits von Tod, zu erwachen!

                                                               Philip Kapleau