YOGA KANN MAN NICHT MACHEN

 

Yoga ist Empfangen und Erfahren

Unsere Welt ist voller Yoga. Ist sie das wirklich? Oberflächlich betrachtet vielleicht. Das Wort Yoga wird gerne in den Mund genommen. Immer mehr Menschen sagen, sie machen Yoga. Und allein das Wort „machen“ lässt mich aufhorchen. Was meinen all die Menschen mit „ich mache Yoga“. 

Vor wenigen Tagen brachte ich Kaffee hinauf in das Zimmer meines 94jährigen Vaters. Er saß vor dem laufenden Fernseher und Herr Pilawa stellte einer schrillen Schönheit die Frage: was ist Pranayama? Pilawa stolperte gehörig über dieses Wort und war sehr verwundert, als die Schöne jubelte, sie wisse die Antwort, denn sie mache ja Yoga. Pranayama sei eine Atemtechnik. Yoga, oder besser eine Vorstellung von Yoga, ist sogar in den Quizz Sendungen des deutschen Vorabendprogramms angekommen.

Und genauso wie der Buddha zur Wellnessstatue verkommen ist, weiß heute jedermann, oder besser jede Frau - denn 85% der Yoga Übenden sind Frauen - etwas zum Thema Yoga zu sagen. So weit so gut. 

In den meisten Köpfen ist Yoga gleich Körperhaltungen einnehmen. Posen nachmachen, die einem entweder eine Lehrerin einmal wöchentlich vormacht oder die die willig Übenden aus Magazinen und digitalen Yogaportalen nachmachen. Die Macher-Gesellschaft hat ein neues Mach-Objekt gefunden. Erst turnte man, dann machte man Gymnastik, Aerobic, Callanetics, Pilates, Zumba und nun halt Yoga. Das es sich bei Yoga um eine uralte Lebensphilosophie handelt, ist den meisten Übenden egal, wenn nicht gar gänzlich unbekannt. 

Yoga kann man nicht machen. Man kann Yoga leben, es empfangen, dafür brennen. Mit machen und wollen geht da gar nichts.

Die Menschen machen Asana, Körper-Haltungen, die sich im Laufe der Jahrtausende aus dem Yoga entwickelt haben, um den Körper gesund, stark und geschmeidig zu erhalten. Und das ist lediglich ein kleiner Teil von Yoga.

Nun ja, es schadet ja nie sich zu bewegen.

In Indien begegnet man in Entsagung lebenden Yogis, die ihre gefühlt meterlangen Dreadlocks zum Turban auf den Kopf geschichtet tragen. Ihre immense Verbindung zum Kosmischen scheint in ihrem Haarwachstum Ausdruck gefunden zu haben. Sie denken und denken und denken und schicken alle Energie durch die Krone des Kopfes in den Äther, um sich mit dem „Göttlichen“ zu verbinden - was immer das ist. Oder die, die nur noch entsagen, keine Nahrung mehr zu sich nehmen, immer weiter in sich zusammenfallen, bis sie wieder zu Erde geworden sind. Bei den Einen führt der Weg zu „Gott“ in den Himmel, bei den Anderen in die Erde. Bei beiden Spezies ist der mittlere Weg noch nicht gefunden. Victor van Kooten erzählte im Unterricht mal die Geschichte alter asiatischer Herrscher, die immens lange und spitze Fingernägel trugen, um ihre übergroßen Handlungsmöglichkeiten zu demonstrieren. So scheint jede*r eine äußerliche Entsprechung für das zu finden, was ihn/sie innerlich bewegt. 

Ich selbst begegnete in Indien vor Jahren einem Yogi der stundenlang auf einem Bein stand und kraft seines Willens die Gesetze der Physiologie überwand oder zumindest ausdehnte. All diese Phänomene entspringen dem Drang Samadhi (Erleuchtung) zu erlangen. Ein Akt des Wollens. Was passiert, wenn ich lange auf einem Bein stehe? Kann der Geist den Körper beherrschen? Erreiche ich Erleuchtung, wenn ich nur noch meditiere, mich nicht mehr nähre und sogar den Schlaf verweigere. Ist das der Weg zu „Gott“? 

Ich frage mich eher was passiert, wenn ich beim Asana üben die Muskeln dauernd anspanne und so den Energiefluss bis hinein in die Knochen blockiere? Führt das zu guter Letzt zu Osteoporose? Sicher führt es zu Hartspann von Muskeln, verklebten Faszien und in der Folge zu Entzündungen der Sehnenansätze an Knien, Hüften, Schultern etc.

Und an diesem Punkt nähern wir uns dem Begriff Yoga. Um uns selbst zu erfahren und zu erforschen müssen wir bereit sein zu empfangen. Wir müssen das innere Terrain vorbereiten indem wir wieder lernen zu spüren, zuzulassen, Neugierde zu entwickeln. Wir müssen bereit sein, in vielen Stunden des Wiederholens, einen verschütteten Zugang in unser Inneres freizulegen. Denn darum geht es: Yoga ist Zentralisieren. Yoga ist der Weg in unser Innerstes. In unsere innerste Mitte. Dorthin, wo alles Leben entsteht. Yoga ist nie Posing, denn Asana ist nur ein kleiner Teil von Yoga. Yoga führt uns in unseren inneren leeren Raum, hin zu unserem Wesenskern.

Um zu erwachen müssen wir unsere „wahre Natur“ entblättern. Hanson-Lasater beschreibt einen Skulpteur der alle Schichten des Steins entfernt, bis die Statue zum Vorschein kommt, sichtbar wird. Wir fügen also in unserer yogischen Entwicklung nichts hinzu. Wir entfernen das Unnötige, das Vergängliche, das Ego - Gesteuerte. Wir legen unsere Essenz frei.

 

Alles 

Verändert sich auf dieser Welt

Aber die Blumen werden sich öffnen

Jeden Frühling

Wie immer           Zen Weisheit

 

 

Diese Zen Weisheit stößt ein tiefes Vertrauen in mir an. Vertrauen in das Leben, Vertrauen in den Prozess der Entfaltung, Vertrauen in mich selbst. Vertrauen den Fuß zu heben für den nächsten Schritt, auch wenn es keine Garantie gibt, dass der Boden unter mir tragfähig ist. 

Um Yoga zu empfangen und es zu internalisieren, brauchen wir viel Vertrauen in seine Effektivität. Yoga gibt uns eine Lebensphilosophie an die Hand, die ein Leben lang tragen kann. Wir müssen dies erkennen, damit wir auch in schwierigen Phasen die Disziplin aufbringen weiter zu üben. Diszipliniert sein heißt mit Intention, Engagement, Verbindlichkeit und Hingabe zu üben. Wir müssen spüren welche Transformationskraft Yoga in uns entfaltet, um im hektischen Alltag dran zu bleiben, um Herausforderungen anzunehmen und Hindernisse zu überwinden. Unser unsteter,  wertender, vergleichender Geist transformiert in eine eher empfangende, annehmende, beobachtende Haltung. Wir halten uns dann bewusst fern von all den Wertungen, die wir dauernd produzieren. Wir bemühen uns die Dinge aus der Distanz zu betrachten, offen und wohlwollend. Heitere Gelassenheit und Zuversicht machen sich breit und wir beginnen in uns selbst zu ruhen.

 

Eine japanisches Sprichwort sagt:

Fische leben in Flüssen,

Vögel nesten in den Bäumen,

Menschen wohnen in warmen Herzen.

 

Wir Menschenwesen brauchen das Wohlwollen unserer Mitmenschen um uns daheim zu fühlen, um uns selbst als das anzunehmen, was uns ausmacht.