Als Buddhisten sagen wir:
Um durchs Leben zu gehen brauchst du einen starken Rücken und eine weiche Vorderseite.
Wir brauchen sehr viel Kraft im Rücken um uns aufrecht zu halten, im Angesicht von all dem Leid, was das Leben mit sich bringt, all dem Leid einer immer komplexeren und Ego bestimmten Welt, all dem Leid, welches Rücksichtslosigkeit und Testosteron gesteuertes Machtgehabe erzeugt, all dem Leid im Angesicht von Not, Gewalt, Verzweiflung, Hunger, Heimatlosigkeit, Krieg, Folter und Tod. Diese Kraft im Rücken ist eine Qualität die zu Gelassenheit führt, zu Gleichmut.
Aber wir brauchen auch die weiche Vorderseite, das offene Herz, um die Welt so wahrzunehmen, wie sie ist. Um offen zu sein, für die Nöte und Bedürfnisse aller Wesen, und das schließt uns selbst ein. Machen wir unser Herz nicht zu einer Trutzburg. Seien wir uns unseres starken Rückens bewusst, um gelassen, geöffnet, weich und einfühlsam gleichwohl Freude und Leid zu begegnen.
Indem wir unser Mitgefühl kultivieren, mobilisieren wir unser Immunsystem, das haben Neurobiologen nachgewiesen. Und wenn wir wissen, dass Mitgefühl stark macht und uns gesund hält, warum ist es nicht unser höchstes Gut, es unseren Kindern von klein an beizubringen, sie dazu anzuhalten, es ihnen vorzuleben. Das würde die Welt zu einem freundlichen, friedlichen Ort machen. Mitgefühl transformiert Leid.
Das Wort Empathie ist in aller Munde. Es ist zu einem Schlagwort geworden. Wir alle wollen empathische Menschen sein. Aber ist uns eigentlich klar, dass Empathie nicht gleich Mitgefühl ist. Der buddhistische Mönch und Neurobiologe Matthieu Ricard hat in etlichen Versuchen unter MRT- Beobachtung gezeigt, dass es im Gehirn verschiedene Areale für Empathie und Mitgefühl gibt. Empathie bedeutet, dass wir in Resonanz gehen mit dem, was andere Menschen fühlen. Es ist erwiesen, dass Menschen, die in helfenden Berufen arbeiten – Sozialarbeiter, Therapeuten, Ärzte, Krankenschwestern etc - bei zu viel erbrachter Empathie Gefahr laufen, ein sogenanntes Burn-Out-Syndrom zu entwickeln.
Empathie bedeutet Resonanz. Zu viel Resonanz kann krank machen.
Mitgefühl ist gelebte Liebe. Mitgefühl spendet Trost. Unser menschlicher Vorrat an Mitgefühl, Liebe, ist unerschöpflich.
Ricard beschreibt das sehr anschaulich. Er sah sich im Labor Filme von rumänischen Waisenhäusern an und versetzte sich in Resonanz mit den fürchterlich leidenden Kindern. Im MRT konnte man ein bestimmtes Hirnareal arbeiten sehen. Je länger er sich empathisch mit diesen Bildern auseinandersetzte und damit meditierte, umso erschöpfter und hilfloser fühlte er sich. Als er aber anfing sich vorzustellen, wie er diese Kinder in seinen Armen wiegte, ihnen mit Liebe und Zärtlichkeit begegnete, ihnen Trost und Zuwendung schenkte, entspannte er sich sichtlich und ein anderes Gehirnareal nahm seine Tätigkeit auf.
Empathie, Einfühlungsvermögen, ist die Voraussetzung für Mitgefühl. Wenn wir aber keinen Weg finden, von der Empathie zu Mitgefühl, zu Liebe, zu wechseln, werden wir über kurz oder lang leer laufen. Eine Krankenschwester, die aus Zeitmangel von einem Bett zum anderen hetzt, im gnadenlosen Klinikalltag nie Zeit findet für ein paar tröstende Worte oder einen zärtlichen Händedruck, wird irgendwann Erschöpfungskrank. Ihr Immunsystem bricht zusammen. Sie hat keinen Platz gefunden für Mitgefühl.
Empathie lässt uns oft hilflos zurück. Üben wir uns jedoch in aktiv gelebtem Mitgefühl, werden wir mit starkem Rücken und weichem Herzen durchs Leben gehen.