Im Laufe meines Lebens konnte ich beobachten wie die gesamte Gesellschaft immer wieder von neuen Schlagwörtern überschwemmt wurde. Sie kamen und gingen. Sie wurden gebraucht und missbraucht. Achtsamkeit ist eines davon. Es findet sich überall. In Fernsehshows, in der Werbung, der Ratgeberliteratur, in Kitschromanen, Kochrezepten und und und. Wir werden mit Achtsamkeitsforderungen zugeschüttet, meist Sinn entleert und aus dem Kontext der buddhistischen Meditationspraktiken gerissen.
Ein weiteres dieser „Unwörter“ ist Loslassen. Es hält sich hartnäckig. Es wird derartig inflationär gebraucht, dass es schon abstoßend wirkt. Seit vielen Jahren dient es als psychotherapeutische Intervention, als esotherisches Wundermittel, als Voraussetzung bei diffusen Heilversprechungen, als Rat-Schlag in den verschiedensten Kontexten. LOSLASSEN!! Was wir nicht alles loslassen sollen/müssen. So manch einem wird bang ums Herz bei der Vorstellung alt eingeübte Verhaltensmuster loslassen zu sollen, um vermeintliche Glückseeligkeit zu erlangen. Vielleicht sind gerade diese vertrauten Verhaltensmuster unser schützender Raum im Leben.
Shakyamuni Buddha zog hinaus aus dem königlichen Palast in ein Leben der Innenschau, der Meditation, um einen Weg zu finden, das Leid der Menschen in Glück zu transformieren, Befreiung zu finden. Befreiung von was? Befreiung von all den Gedankenkarussels, die uns viel zu oft gefangen halten und aus denen miese Gefühle entstehen. Befreiung von Gedanken des Hasses und der Gier. Befreiung von sich vergleichen und bewerten.
Loslassen ist ein sich befreien, ein Platz schaffen für Neues. Platz schaffen für Leere, Platz schaffen für Fülle. Vor allem aber ist Loslassen ein Prozess. Oft ein langjähriger Prozess, der uns Hingabe und Geduld lehrt. Und dieser Prozess beginnt damit, unsere Ängste, Wünsche und Abneigungen anzugucken, auf sie zuzugehen, sie zu befragen, sie zu integrieren, sie kennenzulernen wie einen geliebten Menschen. Ja, das erfordert unseren gesamten Mut. Ich ermuntere immer wieder Menschen die diesen Weg einschlagen, die Kriegerhaltungen des Yoga zu praktizieren, um den nötigen Mut zu entwickeln. Das ist eine große Hilfe.
Eine weitere Hilfe findet sich in den Texten des Buddha. Das Satipatthana Sutra, Sutra 10 aus dem Majjhima Nikaya des Pali Kanons, behandelt die Grundlagen der Achtsamkeit. Shakyamuni Buddha hat uns mit diesem Sutra genaue Anweisungen zur Meditation hinterlassen. Anweisungen zur Überwindung des Leidens.
Es beginnt mit der kontemplativen Betrachtung des Atems und des Körpers. Wenn wir uns hier hinein vertiefen, mutig vertiefen, bekommen wir vielleicht auch einen Zugang zur Vergänglichkeit allen Seins.
Dann folgt die Meditation mit unseren Gefühlen. Hier beschäftigen wir uns mit Anhaftungen, Ablehnungen und Unwissenheit. Schon vor 2600 Jahren befasste sich der Buddha mit Selbsterfahrung. Wenn wir in der „Meditation mit unseren Gefühlen“ weiterhin mutig voranschreiten, halten wir uns selbst den Spiegel vor. Erkennen wir uns und alle Menschen immer klarer.
Als dritter Schritt folgt das tiefe Verstehen unseres Herzens. Gemeint sind unsere Intuition und unsere unbewussten Geistesinhalte. Der Weg, den der Buddha uns zeigt, geht immer tiefer in unser Inneres.
Als letzten Schritt befassen wir uns mit unseren persönlichen Geistesinhalten und mit der Lehre des Buddhismus, dem Dharma. Zum einen schauen wir uns an was uns in der Welt begegnet, was uns zu Ablehnung und Anhaftung verleitet. Zum anderen vertiefen wir uns in die Texte des Buddha. Beim Erfassen des Buddha-Dharma geht es einerseits darum die Inhalte geistig zu erfassen, zu analysieren, aber auch sie meditativ zu erleben.
Loslassen ist Geistesschulung. Loslassen ist Klarheit, ist tiefes Gewahrsein ohne die trügerischen Einflüsse von Gedanken, Vorstellungen und inneren Bildern. Loslassen ist ein langer Weg des beharrlichen Übens. So, wie ich einen Garten über viele Jahre hege und pflege, die Erde von Jahr zu Jahr verbessere, fruchtbarer mache, so kann ich auch meine innere Landschaft mit viel Liebe und Zuwendung, Akzeptanz und mutiger Disziplin transformieren.
Jack Kornfield sagt: Wir können dem Schmerz nicht aus dem Weg gehen, doch wir können seine Macht über uns brechen.
„Wenn Gier, Hass und Unwissenheit aufgegeben werden, verursachen wir uns und anderen kein Leid mehr. Das ist Nirwana (erwachtes Leben).“ Buddha
Freudvoller, innerer Frieden. Das ist ein inneres Erleben, welches uns im Leben immer wieder begegnen kann. Hegen wir also unseren Geist wie einen wunderschönen Garten.