Die vier edlen Wahrheiten des Buddha
oder
Die fünf Kleshas
Hunderte von Jahren bevor Patanjali sein Konzept der Kleshas entwickelte, legte Shakyamuni Buddha seinen fünf engsten Gefährten erstmalig, im Garten von Sarnath, den Kern seiner Lebensphilosophie dar:
Die vier edlen Wahrheiten
1. Wahrheit vom Leiden: Das Leben im Daseinskreislauf ist letztlich leidvoll. Dies ist zu durchschauen.
Buddha nennt quasi eine Diagnose dafür, dass wir in dieser weltlichen Daseinsform, mit ihrem Werden und Vergehen, niemals dauerhaft ohne Leid sein können.
2. Wahrheit von der Ursache des Leidens: Die Ursachen des Leidens sind Gier, Hass und Verblendung. Sie sind zu überwinden.
Hier analysiert er die Ursache des menschlichen Leidens und macht uns klar, dass der Grund des Leids in unserem Geist verwurzelt ist.
3. Wahrheit von der Aufhebung des Leidens: Erlöschen die Ursachen, erlischt das Leiden. Dies ist zu verwirklichen.
Hier hält er uns zu logischem Denken an. Nicht an den Symptomen sollen wir „rumdoktern“, sondern an den Ursachen.
4. Wahrheit von dem Weg zur Aufhebung des Leidens: Zum Erlöschen des Leidens führt ein Weg, der Edle Achtfache Pfad. Er ist zu gehen.
Buddha wird jetzt ganz pragmatisch. Wenn wir den edlen achtfachen Pfad als Lebensweg beschreiten, werden wir uns vom Leid befreien.
Auch den achtfachen Pfad greift Patanjali im Yogasutra auf und widmet ihm, ab der Mitte des zweiten Kapitels, den gesamten Rest seiner Yogasutren. Dazu komme ich sicher noch ein andermal.
Kehren wir zurück zu Patanjali. Er erklärt in den Sutren 2.3 bis 2.14 die fünf Kleshas und ihre Wirkungen auf unser Denken und Handeln. Die Kleshas sind die Kräfte, die Leid in unsere Leben bringen.
Avidya: die Verwechslung - die spirituelle Unkenntnis, die Unwissenheit, der Mangel an Weisheit.
Asmita: die Selbstbezogenheit, die Identifizierung, das Ego, die stolze Ichzentriertheit
Raga: die blinde Zuneigung, das Begehren, das Haben-Wollen, die Gier
Dvesha: die blinde Abneigung, der Hass
Abhinivesha: die unbegründete Angst, der Lebenstrieb, die Furcht vor dem Tod
Wenn wir uns die Kleshas ansehen wird klar, dass Avidya der Ursprung der vier weiteren Kleshas ist.
Avidya und Asmita sind Teile unserer Intelligenz. Der Mangel an spirituellem Wissen gepaart mit Hochmut, bläht das Ego auf. Daraus sprießt Selbstgefälligkeit. Eine Form von Egomanie entsteht, die uns selbst, den Menschen die uns umgeben und, unter Umständen, auch der Welt, Schaden zufügen. Das Gefühl für das rechte Maß geht verloren.
Sriram erläutert es so: „Sich täuschen ist nichts anderes, als das Wesentliche mit dem Unwesentlichen oder das Nachhaltige mit dem Nichtnachhaltigen zu verwechseln.“
Wenn wir den Wesenskern, die allen Wesen innewohnende Buddhanatur, mit unserer Persönlichkeit verwechseln, kann Selbstbezogenheit entstehen. Üben wir also, uns nicht dauernd mit all den uns umgebenden Dingen und Wesen zu identifizieren.
Raga und Dvesha sind emotionaler Natur.
Raga, der Gier, liegt die Überzeugung zugrunde, dass uns ein Objekt Glück schenken
könnte. In Zeiten des Konsums wird der Glaube daran, dass Besitz glücklich macht, ständig genährt. Der Zustand unserer Welt bezeugt diesen Irrglauben. Medien und Zeitungen infiltrieren uns täglich auf subtile Weise. Die Wirtschafts- und Medizingläubigkeit sind zur neuen "Kirche" avanciert. Wirtschaftswachstum ist das Unwort
schlechthin. Das einzige Wachstum das wir momentan brauchen, ist das Wachstum von Liebe und von Bescheidenheit.
Die Gier nach Bestätigung lässt uns rastlos werden, und führt letztlich dazu, dass wir unsere Authentizität verlieren.
Im Umkehrschluss lehnen wir Dinge ab weil wir zwanghaft glauben, sie könnten uns Unglück bringen, könnten unangenehm sein. Ein sehr aktuelles Beispiel ist die Ablehnung von notleidenden Geflüchteten. Der Irrglaube, sie würden unsere Arbeitsplätze klauen und unsere Gesellschaft überfordern, uns also Unglück bringen, ist in all zu vielen Köpfen festbetoniert. Das ist Dvesha – blinde Abneigung. Auch Raga und Dvesha führen unabänderlich zu Leid, sorgen sie doch dafür, dass wir nicht mehr in innerer Harmonie leben. Und wenn wir Menschen aus unserer Mitte fallen, in Disharmonie schwingen, ist das Immunsystem geschwächt und Psyche und Soma geraten aus der Bahn.
Abhinivesha, die Sorge um das eigene Überleben, gehört zu den Instinkten. Sie ist ohne unser Zutun in uns verankert. Sie bewegt auch die Weisesten unter uns.
Oft macht uns das Festhalten am Leben bitter, argwöhnisch und egoistisch. Ein buddhistischer Lehrer hat einmal gesagt: „Ein Tag an dem ich mich nicht mit dem Tod beschäftige, ist ein verschwendeter Tag.“ Er will uns anhalten mutig zu sein und den Tod ins Leben zu holen. Zu üben, den Tod zu akzeptieren, wird uns das letzte Loslassen leichter machen. Abhyasa und Vairagya – Übung und Loslassen – das große Freundespaar aus dem ersten Kapitel der Yogasutren fällt mir dazu ein.
Sich der Kleshas bewusst zu werden und sie bereits im Anfangsstadium aufzulösen ist, laut Patanjali, der leichteste Weg ihrer Überwindung. Wenn sie sich ausbreiten und chronifizieren, wird es immer schwerer sie hinter sich zu lassen.
Und wie wir es von Buddha und Patanjali bereits kennen, empfehlen sie uns etwas, um das Leid zu überwinden: Die Meditation in Stille. Stilles Sitzen und reflektieren:
Wie und wo begegnen dir die fünf Kleshas? Wie beeinflussen sie dein Denken und Handeln? Wie gehst du mit ihren Auswirkungen um?
Die Kleshas bilden tief ausgeprägte Muster in jedem von uns. Wenn wir sie erkennen und transformieren verhindern wir, dass sie später einmal unsere Taten auf bewusste oder unbewusste Art beeinflussen, lenken. Hier geht es nicht darum uns selbst zu beschuldigen und uns in unserem inneren Dialog zu beschimpfen, uns herabzuwürdigen, es geht darum zu erkennen, zu verändern und dann die Gedanken loszulassen. Liebevoll mit uns selbst. Versöhnt mit uns selbst.
Avidya, die Unwissenheit, können wir überwinden, indem wir uns in Achtsamkeit üben.
Asmita, die Ichbezogenheit, können wir überwinden, indem wir authentisch sind.
Raga, die Gier, nimmt ab, wenn wir spüren, dass Wunschlosigkeit uns Klarheit und Glück schenkt.
Dvesha, Abneigung/Hass, nimmt ab, wenn wir unser Herz öffnen, und nicht mehr denken, dass das Leben immer angenehm sein muss. Wenn wir lernen, dass Hingabe dabei hilft, mit Zuversicht zu leben.
Abhinivesha, das am Leben hängen, können wir transformieren, indem wir uns in Gelassenheit üben und die Vergänglichkeit unseres Daseins in das Leben integrieren.
Wandmalerei im Tempel von Alchi/Ladakh
Freske im Tempel von Hemis/Ladakh
Sanskritstudierender in Varanasi/Indien
Garten von Sarnath/Indien
Garten von Sarnath/Indien
Öllämpchen im Tempel von Hemis/Ladakh