Potugal, Felsküste, Windstärke 6
Es ist August. Im Süden Europas der heißeste Monat. Hier in Odeceixe, an der Westküste Portugals, vier Autostunden südlich von Lissabon, weht ein kühler Wind, während die Sonne von einem tiefblauen Himmel auf mich herab glüht. Trügerisches Klima, man merkt die Kraft der Sonne erst, wenn man verbrannt ist. Die Felsküste ist eindrucksvoll, das Meer respekteinflößend wild. Auf dem Küstenpfad kann ich, hoch über dem Meer, stundenlang wandern. Allein mit mir selbst. Keine Menschenseele begegnet mir. Zistrose überall. Die milchig überzogenen Blätter glänzen in der Sonne und verströmen ihren typisch südländischen Duft. Mein Blick reicht in die Weite, wird erst von der Erdkrümmung gestoppt. Meine Augen, die ja meist begrenzt werden durch Wände, Bildschirme, Wälder und dergleichen, lieben diese Befreiung. Da sein und den Blick frei lassen. Sonst nichts. Die Kraft des Ozeans erfüllt mich sofort. Ich werde ganz ruhig, bin dankbar, ein Teil dieser Erde zu sein. Ich schaue zum Horizont und denke, das nächste Land ist Amerika, auf der Höhe von Washington DC. Dazwischen nur die Azoren. Wie mutig die frühen Seefahrer waren, wie neugierig. Immer weiter dort hinaus zu fahren, ohne zu wissen, ob einen etwas oder jemand erwartet. Oder ob einen am Ende das Wasser verschlingt.
Es riecht nach Kräutern und Salz. Köstlicher Duft des Südens. Bei Nelson, in der Bar, läuft entspannte Lounge Musik. Hier sitze ich nach einem Tag voller Muße und schaue der Sonne bei ihrem Tauchgang ins Meer zu. Orange erst, dann zart violett. Später, wenn sie längst abgetaucht ist, bleibt ein heller Streifen verschiedener Blautöne. Ich liebe diese blaue Stunde, diese Facetten von azur, die meinen Geist entspannen und mein Herz glücklich machen. Der Mond ist fast voll, zieht das Wasser ans Land und verzaubert die Felskolosse. Das niemals endende Rauschen der Wellen begleitet mich tief ins Traumland hinab. Am frühen Morgen weckt mich die Sonne, verführt mich zu einer Yogastunde am Strand. Am Ende renne ich in die Wellen und spüle den Sand von meiner Haut. Glücklich. Nach 13 Jahren Ferien in den Himalayas, Thailand und Sri Lanka, mache ich mal wieder Strandurlaub im Süden Europas. Portugal – hier war ich noch nie. Ich wohne mit meinen Urlaubsgefährten in einem Haus, direkt am Strand. Von unserer Terrasse aus haben wir einen atemberaubenden Blick über die gesamte Bucht unter uns. Gigantische Klippen rahmen den weißen Sandstrand zu beiden Seiten ein. Der Atlantik rauscht, anders als das Mittelmeer, unablässig. Die Wellen sind wild, die Gischt glänzt silbern, die Strömungen sind tückisch. Drei Baywatcher pfeifen von morgens bis abends die Badenden in ein abgestecktes Areal des tosenden Ozeans. Nicht zu weit rechts, nicht zu weit links und schon gar nicht zu weit raus. Sie erledigen einen verantwortungsvollen Job, schützen sie doch die ahnungslosen Urlauber vor dem Ertrinken in den Strömungen des Atlantiks. Die Jungs sind hübsch, wohlgebaut und eine Freude für so manche junge Nixe. Für einen Freigeist wie mich sind sie eine zu akzeptierende Reglementierung meiner Bewegungsfreiheit. Und dazu auch noch lärmend. Nun gut, ich will aber auch nicht von einer Strömung unwiderbringlich ins offene Meer gezogen werden. Andererseits hab ich viel zu viel Ehrfurcht vor den Wellen, gehe eh nur bis zur Taille rein. Der Wind pfeift mir um die Ohren. Ich harre trotzdem, sandbestreut, am Ufer aus und beobachte die Welt der Strandurlauber. Morgens laufen sie zu Scharen in dem kleinen Badeort ein. Rundherum finden sich Parkbuchten und Parkplätze. Sie kommen mit Kind und Kegel, mit Strandmuschel und Kühlbox, mit Hut und Flatterkleid, mit Surfbrett und Schwimmring, mit Sunblocker und Beach PinPong, mit Handy und Sonnenbrille, mit Sonnenschirm und Klappstuhl. Groß, klein, dick, dünn, alt, jung, weiß, braun und rot.
Ein hingebungsvoller Mann geleitet seine 140 kg Frau in die Wellen. Sie ist unsicher auf den Beinen. Ihr üppiger Körper steckt in einem Bikini. Ich bewundere sie nicht nur wegen des Bikinis. Der Spaziergang, auf den Sicherheit schenkenden Arm ihres Mannes gestützt, macht ihr sichtbare Freude.
Spätestens nach drei Tagen am Strand, ist mein Körpergefühl ein Anderes. Der strenge Blick auf die wohlstandsgenährten eigenen Rundungen relativiert sich. Sonne, Sand und Meer verhelfen zu einem veränderten Körperbewusstsein. Ich jedenfalls bin ab Tag drei relativ ausgesöhnt mit meinen kulinarischen Zonen. Ich spüre mich selbst mit mehr Selbstverständnis. Ach…….
Unter einem Sonnenschirm liegt eine schneeweißhäutige Schöne. Sie ist in einen Krimi vertieft, wie so viele Frauen an den Stränden der Welt. Ich staune, dass es eine solche Haut überhaupt gibt. Sicher kommt sie aus England. Oder Schweden, Norwegen etc, jedenfalls dorther, wo auch die bestialischen Krimis herkommen.
Einige Meter weiter hat die Sonne einer runden Dame die Rückseite verbrannt. Sie spaziert, unberührt davon, weiter an der Wasserkante auf und ab. Es kann sich nur noch um Stunden handeln, bis die Haut sich von ihrem Körper ablösen wird. Hier hilft nur noch Häutung.
Etwas weiter vor mir macht ein junger Adonis Situps und Einarmliegestütze. Seine Oberarmmuskeln sind durch das Gepumpe bereits so weit verkürzt, dass die Arme vom Körper abstehen, wie bei einem Cowboy, der jeden Augenblick den Colt zieht.
Ein entzückter Vater baut seit Stunden an einer Sandburg a la Ankor Wat. Sein Zögling sitzt gelangweilt daneben und bedient sich aus einer riesigen Tüte Kartoffelchips. Drei Teenies, in rosa Bikinis, sitzen schweigend in der prallen Sonne und chatten via Smartphone miteinander und mit dem Rest der Welt.
Ein alternder Herr, eindeutiges Überbleibsel der Hippiezeit, hat seinen weißen Zopf mit einem Indiana Jones Hut gebändigt. In Kashmirpulli und Jeansshorts schreitet er gemächlich, und natürlich rauchend, den Strand ab.
Der Wind hat mittlerweile so zugenommen, dass er den Sand aufpeitscht. Ich fühle mich wie ein paniertes Stück Fischfilet. Also mache ich mich auf den Weg in die Wellen. Nach wenigen Minuten pfeift mich der Baywatcher in die rechte Bahn. Ich habe schon immer gerne aus der Reihe getanzt. Das Wasser ist kalt , aber das Spiel mit den Wellen lässt mich die Kälte vergessen. Die Kraft des Ozeans fühlt sich so gut an. Am Abend legt sich der Wind. In der untergehenden Sonne setze ich mich zur Meditation in den Sand. Die Badegäste sind mit Sack und Pack entschwunden. Die Möwen suchen den Strand nach Essensresten ab. Ruhe kehrt ein. Das Licht der tief stehenden Sonne färbt die Welt um mich wieder einmal rot und pink.