Ab Sutra 1.30 beschreibt Patanjali all die Hindernisse die dazu führen, dass wir Samadhi - Versenkung, ruhiges Verweilen - nicht erreichen. Und er beschreibt auch gleich, wie wir diese Hindernisse überwinden können um Yoga Citta Vrtti Nirodha zu verwirklichen.
Die Hindernisse sind:“ Krankheit, Unentschiedenheit, Hast, Faulheit, Abgelenktheit, Fehleinschätzung, fehlende Zielstrebigkeit, Unbeständigkeit.
Durch diese Hindernisse zerstreut sich citta-das meinende Selbst.“ (Sriram)
Wenn man krank ist, ist das Denken und Fühlen beeinträchtigt. In einer Depression z.B. oder mit einem burn-out fühlen wir uns unfähig, Entscheidungen zu treffen. Der Ursprung dieser Erkrankungen gründet in dem hohen Tempo unserer heutigen Lebensform. Man kann aber auch ohne diese Erkrankungen Entscheidungen vor sich her schieben. Meist steckt die Angst Fehler zu machen dahinter und das führt zur Stagnation. Und es spricht dafür, dass wir uns selbst nicht zutrauen, Fehler korrigieren zu können.
Hastig sein ist ein weiterer Punkt auf Patanjalis Hindernis Liste. Hast heißt, unachtsam sein, zu schnell sein. Auch das trübt unseren Geist. Wir fühlen uns gereizt, gestresst und atemlos.
Auch Vorhaben aufzuschieben oder sich von allen möglichen Dingen ablenken zu lassen, führt unweigerlich zu Unzufriedenheit, zu innerem Leid.
Dinge überzubewerten, seien sie nun in uns oder in der äußeren Welt verortet, lässt uns leiden.
Wenn wir unsere Ziele nicht beharrlich verfolgen, uns dafür einsetzen, etwas dafür tun, dran bleiben, missachten wir uns irgendwann selbst. Und das bedeutet auch wieder Leid. Unser Denken und in der Folge unsere Gefühle werden durch all diese Hindernisse beeinträchtigt. Es geht uns nicht gut.
Patanjali: Ist Citta zerstreut, so entsteht leidvolle Enge, eine pessimistische Ausrichtung des Geistes, körperliche Unkontrolliertheit und der Verlust der Kontrolle über den Atem ( und damit über die Psyche)
Wenn wir es zulassen, dass diese Hindernisse immer mehr Raum in uns einnehmen, entsteht das Gefühl innerer Enge. Unser Herz kann sich nicht mehr öffnen, wir empfinden zunehmend Druck. Unser Denken und Fühlen wird immer mehr eingeschränkt, wir verlieren unsere menschliche Wärme, der Körper verspannt, es entstehen Schmerzen und der Atem gerät aus dem gleichmäßigen Fluss, wird flach, schnell, unbeständig.
Ich kenne alle Hindernisse, die Patanjali so einleuchtend beschreibt, gut. Immer wieder begegnen sie mir auf meinem Weg. Mal sind sie wie kleine Äste oder Steine, die ich leicht wegräumen kann, mal wie dicke Baumstämme, die den Weg so vehement versperren, dass ich weite Umwege gehen muss, oder gar lahmgelegt bin. Einer meiner Lehrer hat mal zu mir gesagt: „Anke, um Wege kommt keiner drumherum.“ Wohl wahr.
Wie also können wir die Hindernisse auf dem Yoga Weg überwinden. Patanjali gibt uns mehrere Möglichkeiten an die Hand.
Er legt uns die Meditation ans Herz und beschreibt mehrere Meditationsformen:
Konzentration auf den Wesenskern, auf das unveränderliche Selbst
Konzentration auf einen sanften und langen Ausatem
Konzentration auf einen Gegenstand
Konzentration auf ein leuchtend strahlendes Licht der Leidensfreiheit
Und er greift das buddhistische Modell der vier Bhavanas auf. Die Bhavanas sind buddhistische Geisteshaltungen. Grundtugenden.
Karuna - Mitgefühl
Metta/Maitri - liebende Güte
Mudita - Mitfreude
Upeksha - Gleichmut
Im Buddhismus ist ein Bodhisattva ( bodhi=erwacht, sattva=Wesen) ein weiser Mensch, der anderen Menschen zur „Erleuchtung“, zum „Erwachen“ verhilft. Er sollte die vier Bhavanas, die buddhistischen Geisteshaltungen lehren, weitergeben.
Patanjali hat einige Jahrhunderte später diese Begriffe in seinen Sutren wieder aufgegriffen:
Die Entwicklung von Wohlwollen (Maitri), Mitgefühl (Karuna), Mitfreude (Mudita) und Gleichmut (Upeksha) in Bezug auf Freude (Sukha) und Leid (Duhkha), Erfolg (Punya) und Misserfolg (Apunya) führt zu Klarheit des Geistes (Chitta).
Wenn ich Mudita, die Mitfreude, in mir entfalte, nehme ich von den eigenen Werten und Vorstellungen Abstand und teile die Freude des anderen, auch wenn es nicht meiner eigenen Vorstellung entspricht. Respekt und Akzeptanz sind Frieden stiftend.
z.B. Ein Yogaschüler steht frei im Handstand – ich freue mich mit ihm, nutze meinen eventuellen Neid als Energie, um an der Haltung angemessen zu üben oder bin befriedet mit meinem Verzicht auf diese Haltung, aus was für Gründen auch immer. Dies ist ein eher harmloses Beispiel. Schwieriger wird es z.B. wenn die Beförderung, die ich mir gewünscht habe, einem Kollegen zu Teil wird. Kann ich mich hier mit ihm freuen?
Karuna, das Mitgefühl, ist die Fähigkeit uns in andere Wesen einzufühlen. Empathie. Voraussetzung für die Entfaltung von Karuna ist die Erfahrung der Einheit, der Verbundenheit, von allem Existenten. Die Konsequenz dieser Erfahrung des Nicht-Getrenntseins ist eine Haltung des Mitgefühls. Alle vergleichenden und/oder trennenden Vorstellungen, alle Widerstände und Abneigungen lösen sich auf. Dann begegnen wir allem Existenten mit Liebe, Hilfsbereitschaft und Verständnis. Wir erkennen dann, dass alles voneinander abhängig ist, nichts ohne das andere existieren kann. Mitfühlen, da sein, begleiten, miteinander aushalten. Daraus erwächst der Wunsch, das Leid des anderen möge enden. Karuna wünscht die Befreiung vom Leiden und Mudita wünscht, dass ein leidfreier Zustand aufrechterhalten wird.
Upeksha – Gleichmut bedeutet nicht anhaften, in Gelassenheit leben, Losgelöstsein. Upeksha hat nichts Besitzergreifendes. Subjekt und Objekt sind gleich. Wenn wir uns in Upeksha üben, hören wir auf, uns zu vergleichen, hören wir auf, alles und jeden zu bewerten. Wir bleiben ruhig, wir bleiben im Jetzt und leben von Augenblick zu Augenblick.
Metta/Maitri ist die freundschaftliche Form der Liebe. Es geht darum, die Gier zu zügeln und sich in liebender Güte mit allen Wesen zu verbinden. Mit Partner, Familie, Freunden, Feinden, Tieren, Pflanzen. Voraussetzung dazu ist ein wohlwollender und wertschätzender Umgang mit sich selbst. Selbstmitgefühl, ein liebevoller Umgang mit sich selbst, ist die Voraussetzung für die Liebe zum Anderen.
Patanjali gibt uns dann in den Sutren 1.40 bis 1.51 eine Vorstellung davon, was es heißt, in der Meditation ganz zu verschmelzen.
Ralf Skuban hat seinen Erläuterungen zu diesen Sutren die Überschrift „Die Früchte der Meditation“ gegeben.
Wir üben Meditation, indem wir uns auf ein bestimmtes Objekt konzentrieren. Oft ist es der Atem. Es kann aber auch ein einfacher und sich wiederholender Bewegungsablauf sein, ein Mantra, ein Gegenstand oder wir konzentrieren uns auf das, was wir hören. Durch diese Konzentration (Dharana) begeben wir uns in Meditation (Dhyana). Wenn wir diese Konzentration regelmäßig üben und verinnerlichen, gelingt sie uns, egal wo und egal mit welchem Konzentrationsobjekt.
Bei Patanjali heißt es: „Beobachter, Objekt und der Prozess des Beobachtens werden eins und diese Verschmelzung heißt Samapatti.“
Dann ist der Geist klar wie ein Kristall. Es gibt kein unterscheidendes Denken mehr. Wenn meine Konzentration z.B. meinem Atem gilt, ist da irgendwann nur noch Atem. Kein Denken über den Atem, sondern reines Spüren. Der Atem und mein Geist (Citta) als Beobachter werden eins, fließen zusammen. Die Gedanken sind zum Stillstand gekommen.
Patanjali sagt, wenn die Gedanken still sind, gelingt alles, werden alle Lebensaufgaben lösbar.
Unser Geist ist in unserem Körper beheimatet. Du bist dein Körper. Du identifizierst dich mit deinem Körper und deinen Sinnen durch dein Ich. Durch die Asana Praxis halten wir uns gesund und bringen Leichtigkeit in den Körper und Klarheit in den Geist. Unser Atem spielt dabei eine zentrale Rolle. Er ist mit Körper, Geist und Sinnen verlinkt. Wir beginnen dieses Zusammenspiel während des Übens der Asanas zu begreifen, zu spüren. Dann lernen wir, in Asana, den Atem zu lenken. Wir erweitern und vertiefen das Lenken des Atems in den Pranayama Übungen und tragen dieses Bewusstsein für den Atem in die Konzentration und Meditation.