Zum zweiten Mal reise ich zu Rajiv und Swati Chanchani in ihr verschlafenes Dorf vor den Toren Dehraduns, Yog Ganga liegt in den Wäldern am Fuße der Himalayas, 250 km nördlich von Delhi. Wunderschön, ruhig, malerisch. Das Ehepaar Chanchani unterrichtet schon ein Leben lang Yoga nach der Methode von B.K.S. Iyengar. Die beiden waren 40 Jahre lang Schüler des vor zwei Jahren verstorbenen Iyengar.
Die Flüge Frankfurt - Delhi und Delhi - Dehradun liegen hinter mir. Ich sitze im Taxi und fahre aus der Gangesebene hinauf in die dschungeligen Berge. Hier haben schon die Beatles ihr Herz an Indien verloren. Affenhorden dösen am Straßenrand, ein Schild mahnt, dass zu schnelles Fahren zu Kollisionen mit Elefanten führen kann. Ich atme auf, freue mich, wieder hier zu sein. Zwei Wochen intensiv Yoga üben. Morgens von 8:00 bis 11:00 und nachmittags von 17:00 bis 19:00 unterrichten Chanchanis Asana,- Philosophie,- und Pranayamaklassen. Von 13:00 bis zur Nachmittagsklasse besteht die Möglichkeit die Yogahalle zum eigenen Studieren und Üben zu nutzen. Die Bibliothek des Zentrums steht den 35 Schülern - meist Yogalehrer aus der ganzen Welt - zur Verfügung. Ich war im letzten Jahr schon hier und erlebte eine sehr bereichernde Zeit.
Swatis profunde Anatomiekenntnisse führen uns in die Präzision der Ausrichtung. Sie hält uns an, die Strukturen des Körpers wahrzunehmen und immer wieder langsam und achtsam zu üben,
auszuprobieren. Wieder Mal wird mir klar, dass ich nur die Dinge weitergeben kann an meine Schüler, die ich immer wieder und wieder selbst erfahren habe. Also gehe ich gleich in die Shala zur
"self practise" und übe noch mal ganz für mich, in aller Ruhe und Konzentration, was wir am Morgen besprochen und ausprobiert haben. Heute mussten wir im herabschauenden Hund die Sitzbeine vom
Perineum aus nach außen weiten. Das wollte Angela Farmer letzten November auch schon dauernd von uns. Und ja, es schützt den unteren Rücken und stärkt ihn. Dieser Iyengar war ein Fuchs, ohne
Frage.
" Zieh die Waden runter zu den Fersen, das entlastet die Knie!" Ja.
Oder, " Schreite mit rechts einen großen Schritt nach vorne, beuge langsam das rechte Knie und bring die Wade runter, lass die Oberschenkelrückseite entspannt, damit sie lang werden kann,
bring die Oberschenkelrückseite Richtung Kniekehle, damit sich der untere Rücken entspannen kann, lang werden kann." Das macht alles Sinn. Ein Außenstehender mag eher denken, die spinnen. Haben
die denn nichts besseres zu tun? Nein, denn die Beschäftigung mit meinem Körper, dem Körper-Haus, in dem ich viele, viele Jahre leben werde, kann keine vergeudete Zeit sein. Bestenfalls
führt sie dazu, dass ich relativ gesund und beweglich altern darf. Ich lerne dabei Geduld, Achtsamkeit und Respekt. Respekt vor diesem Wunderwerk Körper. Embodyment sagt Rajiv . Liebevoller
Umgang mit dem Körper und dem Geist. "Your body is grace. Your breath is grace. Your mind is grace. Treat it like that." Ja.
Wenn Rajiv täglich seine Liebe zur Yoga Philosophie und zu den indischen Mythen auf uns sprüht, bin ich hellwach und bereichert. Und wenn er am Abend Pranayama unterrichtet, lässt er uns an
seiner jahrzehntelangen Erfahrung auf diesem Gebiet des Yoga teilhaben. Abends falle ich glücklich ins Bett, lausche den Geräuschen des Dschungels und freue mich darauf, von all den bunten
Vögeln, die in dem großen Baum vor meinem Fenster wohnen, am nächsten morgen geweckt zu werden.